Stewart Brand beschreibt in seinem Buch „How Buildings Learn: What Happens After They’re Built‟, wie sich Gebäude über lange Zeiträume an veränderte Anforderungen anpassen. Das Konzept der Scherschichten betrachtet Gebäude als eine Reihe von Komponenten, die sich in unterschiedlichen Zeitskalen entwickeln. Frank Duffy fasste diese Ansicht in einem Satz zusammen: „Unser grundlegendes Argument ist, dass es so etwas wie ein Gebäude nicht gibt. Ein Gebäude, das richtig konzipiert ist, besteht aus mehreren Schichten von Komponenten, die jeweils unterschiedliche Nutzungs- und Erneuerungszeiträume haben“ (zitiert in Brand, 1994).
Aus C2C Perspektive ist die Kernaussage, dass kurzfristig das größte Potential für Veränderungen und Innovationen bei Ausstattung, Grundriss und Gebäudetechnik liegt, da sich diese Systeme schneller verwandeln als die anderen Schichten. Vor allem hier kann C2C auch in bestehenden Gebäuden ansetzen.
Während die grundlegende Form und Gestalt eines Gebäudes über 30, 50 oder 100 Jahre stabil, sichtbar und prägend bleibt, gibt es bei der Hülle vielleicht schon nach rund 20 Jahren einen Bedarf an Instandsetzung oder Austausch. Daher sollten die Bereiche so geplant und gebaut werden, dass sie dieser Dynamik bestmöglich angepasst sind. C2C Ansätze wie leichte Sanier- und Rückbaubarkeit sind förderlich im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit und den Unterhalt des Gebäudes.
Die Abbildung 13 zeigt die sechs Bereiche eines Gebäudes und ihre durchschnittlichen Erneuerungszyklen. In diesem Leitfaden werden den Bereichen Kriterien zugeordnet, die verdeutlichen, worauf in jedem der Bereiche geachtet werden soll. Die sechs Gebäudebereiche beschreiben wir im Folgenden aus C2C Perspektive, von außen nach innen.
Im Bereich Grundstück und seiner Umgebung kommen viele individuelle wie auch normative Anforderungen zusammen und konkurrieren um den verfügbaren Raum. Es bestehen regelmäßig Interessenskonflikte durch sich überlagernde und widerstreitende Nutzungsanforderungen an die Flächen. Beispielsweise wird die Entsiegelung von Flächen im Interesse der Biodiversität und des Wassermanagements angestrebt. Zugleich führen technische Anforderungen der Mobilität und kommunale Stellplatzsatzungen zur Befestigung oder Versiegelung von Flächen, im öffentlichen Raum wie auf den einzelnen Grundstücken. Hier sollten auf allen Ebenen bestehende Regelungen mit Blick auf zukünftige Entwicklungen hinterfragt, an gesellschaftliche und technologische Veränderungen angeglichen und fachübergreifend stärker harmonisiert werden.
Boden ist eine endliche Ressource und damit ein wertvolles Allgemeingut, mit dem verantwortungsvoll und effektiv umgegangen werden muss. Öffentliche Grundstücke sollten daher von öffentlichen Trägern entwickelt werden. Alternativ können für private Bauvorhaben das Erbbaurecht oder speziell gestaltete Kaufverträge angewendet werden, um die Vergabe an konkrete Bedingungen im Sinne von C2C zu knüpfen.
Um Flächen, Graue Energie sowie vorhandene Infrastruktur effektiv zu nutzen, hat die qualitätsbetonte Verdichtung des kommunalen Raums Priorität – also Umbau, Anbau oder Aufstockung. Dabei sind die Auswirkungen auf das örtliche Mikroklima zu berücksichtigen. Die individuellen Lösungen können je nach Gegebenheiten unterschiedlich sein. Wird das C2C-Konzept konsequent umgesetzt, können Projekte im peripheren oder ländlichen Raum auch weniger kompakt ausfallen und fügen sich damit besser in den lokalen Kontext ein. Dabei gilt es aber die Balance zwischen Zersiedelung, Dezentralität und der überregionalen Vernetzung von Stadt und Land zu wahren.
Der Umgang mit dem Grundstück sollte Kohlenstoff-bindende Prozesse fördern. Zudem empfiehlt es sich zu prüfen, inwieweit das Konzept der „Essbaren Stadt“ unterstützt werden kann, etwa indem Kräuter und Gemüse für die Betriebskantine direkt am Gebäude angebaut oder auf öffentlichen Grünflächen gezielt Obstgehölze gepflanzt werden.
Besondere Aspekte beim Grundstück sind daher
Das Tragwerk ist in der Regel der Teil eines Bauwerks mit der längsten Nutzungsdauer. Man spricht auch von der Primärstruktur, da es der unmittelbar mit der Gebäudestatik verknüpfte Teil eines Bauwerks ist. Eine Änderung ist in der Regel nicht ohne eine Demontage weiterer Bereiche wie der Gebäudehülle oder dem Ausbau möglich. Das Konzept des Designs für Demontage ist also der entscheidende Schlüssel, um überhaupt Reparaturen oder Anpassungen am Tragwerk zu ermöglichen, ohne andere Gebäudebereiche unwiederbringlich zu beschädigen. Eine Trennbarkeit dieser einzelnen Bereiche ist also von zentraler Bedeutung.
Das Tragwerk sollte einfach gehalten und möglichst auf einem Systemraster aufgebaut sein, um Rationalisierung in der Fertigung und Flexibilität in der Nutzungsphase zu ermöglichen. Besonders im Geschossbau sind vereinheitlichte Spannweiten und Geschosshöhen sinnvoll, so dass perspektivisch unterschiedliche, vielleicht heute auch noch nicht abzusehende Funktionen aufgenommen werden können, ohne die tragende Struktur antasten zu müssen. Im Gegensatz zu bisher eher starren Serien identischer Bauteile, kann heute mithilfe computergestützter Planungswerkzeuge ein Elastischer Standard angewendet werden. Er erlaubt mehr Variation innerhalb eines Bauteiltyps und damit mehr Gestaltungsfreiraum, ohne dabei das Budget zu sprengen. Statt beispielsweise einen Katalog mit Fertigteilen in nur zwei Breiten und fünf Längen zu haben, können die Breiten oder Höhen bei besonderem Bedarf in der digitalen Produktionsvorbereitung an projektspezifische Anforderungen angepasst und dann entsprechend gefertigt werden, wie Annette Hillebrandt et al. im “Atlas Recycling. Gebäude als Materialressource” (2018) schreiben.
Die Dimensionierung tragender Bauteile sollte projektspezifisch auf realistische Szenarien der Umnutzung und Nachnutzung ausgelegt werden. Dabei empfiehlt sich die Prüfung des Potenzials auf nachträglich installierte Dach- und Fassadenbegrünung, auf mögliche spätere Aufstockungen und auf die Nutzlasten sinnvoller Alternativnutzungen.
Besondere Aspekte des Bereichs Tragwerk sind
Die Gebäudehülle bildet die physikalische Trennung der Innenräume nach außen und umfasst Bauteile wie Wände, Fassade, Fenster und Dachflächen. Neben der Schutzfunktion gegen äußere Einflüsse erfüllen diese Bauteile insbesondere gestalterische aber auch regulatorische Funktionen zwischen innen und außen. Das Erscheinungsbild des Gebäudes ist meist das erste und einzige Medium, um mit der Umgebung und den Menschen zu kommunizieren. Hier wird sichtbar, ob und mit welcher Haltung sich der*die Bauherr*in in das Mosaik der Stadt oder des Dorfes einfügen möchte. Dieses Erscheinungsbild hängt von zahlreichen Faktoren ab. Dazu zählen die lokale Bautradition, die Grundstücksgröße, die Ausrichtung auf dem Grundstück, der städtebauliche Kontext, klimatische Erfordernisse, Vorgaben (oder fehlende Vorgaben) aus der Bauordnung und den örtlichen Satzungen, funktionale Bedürfnisse, finanzielle Rahmenbedingungen, der individuelle Geschmack der Beteiligten und die gestalterische Freiheit der Entwerfenden. Die Energiegewinnung stellt eine mögliche Zusatzfunktion dar. All dies kann am besten in einem Zusammenspiel variabler Bauteile und Materialien realisiert werden. Um also langfristig bei Bedarf oder technischen Entwicklungen optimiert werden zu können, ist eine einfache Rückbaubarkeit und die Austauschbarkeit von Komponenten sinnvoll.
Besondere Aspekte der Gebäudehülle sind
Die technische Gebäudeausrüstung (TGA) hat in der jüngeren Vergangenheit aufgrund gesetzlich-normativer Forderungen und der allgemeinen Technisierung einen immer größeren Raum eingenommen. Diese Entwicklung lässt oftmals den Gesamtzusammenhang aus dem Auge: Was sind die Aufgaben der Gebäudetechnik und mit welchen technischen Anlagen kann das Ziel erreicht werden?
Zunächst sollten immer passive Maßnahmen, wie die optimale Ausrichtung und Gestaltung der Gebäudehülle, geprüft und entworfen werden. Das ersetzt oftmals den aktiven Einsatz von Technik. Passive Effekte können dann, wo nötig und sinnvoll, durch effektiv ausgewählte technische Systeme ergänzt werden. Es sollten Möglichkeiten vorgezogen werden, die ohne oder mit geringem Wartungsaufwand auskommen. Bei der Auswahl der Systeme muss neben der Nutzungsfreundlichkeit bedacht werden, dass die Systeme im Betrieb richtig zu handhaben sind. Von entscheidender Bedeutung ist auch hier, den gesamten Nutzungszyklus des Gebäudes zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist die Technik ein Schlüssel, um erneuerbare Energiequellen für das Gebäude nutzbar zu machen – für die Eigenversorgung und, besser noch, für die Versorgung weiterer Gebäude des Quartiers.
Derzeit erfüllen zudem die wenigsten Komponenten der Gebäudetechnik die Anforderungen des C2C Designkonzeptes, insbesondere hinsichtlich der Kreislauffähigkeit der Materialien. Auch hier lässt sich aus C2C-Perspektive sehr gut ansetzen, denn anpassungsfähige und zukunftsoffene Lösungen ermöglichen eine kontinuierliche Verbesserung über die Nutzungsdauer des Gebäudes. Durch die effektive Auswahl von Systemlösungen der TGA, das Zusammendenken und die Integration verschiedener Systeme, ihre digitale Dokumentation und definierte Nutzungsdauer der Komponenten und Anlagen, können innovative Lösungen gefunden werden, mit denen das Gebäude komfortabel, umweltfreundlich und wirtschaftlich betrieben werden kann. Auch intelligente Gebäude (Smart Buildings) können ein hilfreiches Mittel sein, um die effektiv ausgewählten Systeme der TGA effizient zu nutzen. Insgesamt soll eine sinnvolle Balance zwischen den Potenzialen und dem Mehrwert passiver Effekte, dem Einsatz von Gebäudetechnik und Vorteilen der Digitalisierung gefunden werden. Nicht notwendige oder überflüssige Technik kann so vermieden werden.
Besondere Aspekte der Gebäudetechnik sind
Einen aktuellen Überblick zu C2C und TGA bietet der Leitfaden von ARUP für C2C-inspirierte Gebäudetechnik. Aspekte wie die Umsetzung eines passiven Gebäudekonzepts oder Quartierslösungen für regenerative Energien werden auch in Zertifizierungssystemen, beispielsweise im DGNB-System, positiv bewertet.
Der durch das Gebäude in Anspruch genommene Raum soll möglichst flexibel organisiert und durch variable Nutzbarkeit der Flächen und Mehrfachnutzung anpassbar gehaltet werden. Die konkrete Struktur leitet sich aus den spezifischen Nutzungsbedürfnissen ab, die in der Bedarfsermittlung identifiziert wurden. Qualität geht dabei vor Quantität.
Besondere Aspekte des Grundrisses sind
Zu diesem Bereich zählt alles, was nicht fest verbaut ist – Bodenbeläge, Büroinfrastruktur, Küchen und Kantinen, Kopiergeräte, Lichtsysteme etc. Hier gibt es sehr viel Potenzial, positive Mehrwerte durch Produkte und Systeme in C2C-Qualität zu erzielen – sowohl im Bestand als auch im Neubau. Die Erneuerungszyklen für viele Ausstattungsgegenstände sind relativ kurz und bieten somit kontinuierlich Chancen für Verbesserungen und viel Potenzial für Innovation. Für einzelne Ausstattungselemente wie technische Geräte, bestimmte Möbelgruppen oder Begrünungssysteme, lohnt sich die Prüfung zur Nutzung von alternativen Geschäftsmodellen wie Produktservice-Modellen besonders, da diese bei häufiger auszutauschenden Elementen einfacher umzusetzen sind. Alle Ausstattungselemente sollten nach einem möglichst geringen Wartungsaufwand und ihrer Reparierbarkeit ausgewählt werden. Zum Bereich der Ausstattung gehören auch Reinigungsprozesse und Reinigungsmittel sowie andere Chemikalien, die im Gebäude eingesetzt werden. Wenn diese etwa über das Abwasser in die Umwelt gelangen, müssen sie sich für den biologischen Kreislauf eignen.
Besondere Aspekte der Ausstattung sind
Diese Handreichung ist ein Projekt von Cradle to Cradle NGO und der Nordakademie-Stiftung.
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