In diesem Unterkapitel werden Instrumente vorgestellt, die ein C2C-inspiriertes Bauvorhaben unterstützen können oder dafür unabdingbar sind.
Gebäude werden seit einigen Jahren verstärkt als Rohstofflager aufgefasst. Dessen Erschließung muss künftig angesichts der ökologischen und sozialen Schäden durch die Entnahme von Primärressourcen sowie der Ressourcenverknappung Vorrang vor natürlichen Rohstoffreserven haben. Daraus leitet sich das Konzept des Urban Mining ab. Verbauten Rohstoffen wird ein Wert zugerechnet, der angesichts des zunehmenden Mangels an verfügbaren Primärressourcen steigen wird. Gebäude fungieren damit als Materialbanken mit Kapitalwerten. Je höher dabei die Qualität des Materials ist, desto höher ist auch sein Wert.
Die meisten Gebäude des heutigen Bestands wurden nicht als urbane Rohstofflager geplant und gebaut. Das bedeutet, dass darin verbaute Materialien und Produkte sich nicht lokalisieren lassen, dass sich Bauteile nicht oder nur mit hohem Aufwand zerstörungsfrei oder zerstörungsarm entfernen lassen, und dass keine Informationen über die Herkunft und Materialbeschaffenheit vorhanden sind. Ein C2C-inspiriertes Gebäude erhöht die Qualität und den ökonomischen Wert des Gebäudes, weil diese Aspekte schon beim Entwurf berücksichtigt werden.
Um dieses Potential voll ausschöpfen zu können, müssen die verbauten Produkte und Materialien definiert, im Gebäude auffindbar und rückbaubar sein. Neue Technologien und Datenbanken wie digitale Kataster für Materialien, digitale Dokumentation und der Einsatz von Materialpässen ermöglichen dies. Auf regionaler Ebene können die Informationen in einem Gebäudekataster zusammengeführt werden. Ein einzelnes Gebäude kann als Materialbank in einen größeren öffentlichen Pool für Materialien und Bauteile eingebunden werden. Der gesamte kommunale Gebäudebestand kann so zum urbanen Rohstofflager werden.
Ein essentieller Baustein, um langfristig von C2C-inspirierten Gebäuden zu profitieren, ist die digitale Dokumentation. Derzeit wird die Dokumentation in der Regel mit der Fertigstellung des Gebäudes beendet. Veränderungen am und im Gebäude über die Jahre der Nutzung hinweg werden nicht mehr festgehalten. So fehlen wichtige Informationen für die weitere Bewirtschaftung und den Rückbau. Die folgende Abbildung 5 veranschaulicht die Überschneidungen und damit verbundene Wechselwirkungen der Nutzungszyklen von Gebäuden und den darin eingebauten Bauprodukten. Die digitale Dokumentation vereinfacht oder ermöglicht es, im Rahmen der Gebäudebewirtschaftung vorausschauend und entsprechend der Nutzungs- und Erneuerungszyklen der Bauprodukte zu planen. Für Baustoffhersteller hat die digitale Dokumentation einen weiteren Vorteil: Sie können anhand der Nutzungszyklen der Produkte und der Gebäude planen, wann welche Stoffmengen wieder für die Produktion neuer Produkte verfügbar werden.
Damit die Dokumentation über die gesamte Nutzungsdauer bis zum Rückbau, der üblicherweise erst 50 bis 100 Jahre später erfolgt, erfolgreich fortgeführt und genutzt werden kann, sollte die Dokumentation digital angelegt werden.
Eine gut gepflegte digitale Dokumentation stellt den Gebäudeeigentümer*innen und der Kommune umfangreiches Wissen für verschiedene Zwecke zur Verfügung:
Die Grundlage für die digitale Dokumentation des Gebäudes wird im Idealfall zu Beginn der Planungsphase (HOAI LPH 2) aufgesetzt. Das Anlegen eines digitalen Gebäudezwillings ist dabei vorteilhaft, aber nicht zwingend notwendig. Die digitale Dokumentation sollte zentral verwaltet und von allen Beteiligten mit Informationen aus ihren jeweiligen Aufgabenbereichen gefüttert werden können. Ein Beispiel für die Strukturierung der Dokumentation ist das Six Layers Modell.
Nach dem Projektabschluss (HOAI LPH 9) wird der geplante Zustand (as planned) an den tatsächlich gebauten Zustand (as built) angepasst, übergeben und vom Gebäudemanagement durch alle Instandhaltungs-, Sanierungs- und Umbaumaßnahmen hindurch bis hin zum Rückbau weiter gepflegt. Eine umfassende digitale Dokumentation der verbauten Materialien wird in den gängigen Zertifizierungssystemen bereits heute positiv bewertet. Ein Beispiel dafür findet sich in der DGNB-Zertifizierung.
Da der Gebäudebetrieb die längste der Phasen eines Gebäudes darstellt, kommt dem Gebäudemanagement eine besondere Verantwortung zu. Mit der digitalen Dokumentation stehen alle benötigten Informationen zum laufenden Unterhalt sowie die Vorausschau auf zukünftige Erfordernisse zur Verfügung. Damit kann auch schon jetzt die in Zukunft wahrscheinlich verpflichtende Erstellung von Material- und Gebäudepässen realisiert werden.
Es lohnt sich auch, vorhandenen Gebäudebestand digital zu erfassen, um ein genaues Bild über den Wert und die Menge der vorhandenen verbauten Ressourcen zu erhalten. 85 bis 95% der heute bestehenden Gebäude werden der EU-Kommission zufolge voraussichtlich auch im Jahr 2050 noch existieren, sodass wir die Potenziale der darin bereits vorhandenen Materialien nutzen sollten. Dies kann anhand von Kennwerten wie Baujahr, Typ oder Volumen sowie anhand des Erfahrungsaustauschs zwischen Expert*innen erfolgen. Sinnvollerweise sollte die Erfassung der Gebäude spätestens im Rahmen von Umbau- oder Sanierungsmaßnahmen erfolgen. Auch ein Bestandsgebäude kann so zu einer Materialbank werden.
Die digitale Dokumentation schafft zudem Mehrwerte für das kommunale Rohstoff- und Risikomanagement. Durch die Nutzung digitaler Plattformen können Stoffströme und Materialwerte zeitnah und vorausschauend abgebildet werden – für einzelne Gebäude oder für größere Betrachtungsgebiete wie Quartiere oder die ganze Kommune. So kann sowohl auf Gebäudeebene als auch regional mit freiwerdenden Materialien vorausschauend geplant werden und Materialkreisläufe können geschlossen werden.
Die meisten Gebäudeeigentümer*innen wissen nicht, woraus ihre Gebäude bestehen. Die Informationen bleiben in der Regel bei den Auftragnehmenden in einem komplexen Geflecht von Rechnungen und Bestellungen, die in den meisten Fällen keine detaillierten Aussagen zur Materialbeschaffenheit enthalten.
In einem Gebäudepass werden alle Informationen über verbaute Materialien, Komponenten, Produkte und Systeme zusammengeführt. Es wird festgehalten, an welcher Stelle welche Materialien und Produkte mit welchen Eigenschaften im Gebäude verbaut sind. Die Informationen auf Material- oder Produktebene werden in Materialpässen hinterlegt. Materialpässe sind elektronische und kompatible Datensätze, die definierte Merkmale und Eigenschaften von Materialien und Produkten erfassen. Sie bieten den Betreibenden oder Eigentümer*innen eines Gebäudes Informationen über die Zusammensetzung, die gegenwärtige Nutzung, die Rückgewinnung und die Kreislauffähigkeit verbauter Materialien. Durch Materialpässe können der aktuelle und der langfristige Wert von Materialien und Produkten bestimmt und deren Nutzungsdauer optimiert werden. Durch das im Pass festgehaltene Wissen ist eine Entscheidung über die weitere Nutzung von Materialien mit geringem Aufwand möglich.
Die Informationen aus Materialpässen können in verschiedenen Bewertungs- und Zertifizierungsverfahren für Gebäude verwendet werden. Beispiele dafür sind Circular Building Assessment, Lebenszyklusanalyse/Ökobilanz, Lebenszykluskostenrechnung, Materialflussanalyse, Energiebewertung und -simulation. Unter anderem greifen die DGNB- und BREEAM-Bewertungsmethoden die Dokumentation auf. In der DGNB-Zertifizierung wird die Dokumentation der verbauten Materialien beispielsweise eingefordert und der Nachweis in Form eines Materialpasses positiv bewertet.
Die folgende Abbildung 7 zeigt beispielhaft einen Ausschnitt eines Gebäudepasses.
Infobox 1 – Materialpässe, digitale Dokumentation, Materialkataster
Für die Erstellung, Pflege und Nutzung digitaler Gebäudedaten und das Management von Materialströmen gibt es bereits viele Produkte und Anbieter. Ein All-in-one-Produkt ist im Einzelfall vielleicht eine praktische Lösung. Entscheidend sind aber geeignete Standards für den Datenaustausch und entsprechende Schnittstellen, die beispielsweise auch kleineren, regional operierenden Bauteilbörsen oder kommunalen Trägern, wie den Bauhöfen, die Mitwirkung ermöglichen.
Beispiele für Materialpässe sind:
Die folgenden Plattformen* und Unternehmen ermöglichen Zirkularität in der Baubranche. Zum Teil berücksichtigen diese Beispiele bereits Cradle to Cradle-Merkmale, das heißt jedoch nicht, dass C2C-Qualität dadurch automatisch sichergestellt ist.
*Dies ist eine Sammlung von Beispielen. Kontaktieren Sie gerne C2C NGO bezüglich weiterer Anbieter, die aufgenommen werden sollten.
Modularität ist kein neues Konzept, aber es ist ein wichtiges Werkzeug für Cradle to Cradle. Eine Modulare Bauweise ermöglicht die Schaffung von anpassungsfähigen Räumen, Infrastrukturen, Gebäuden, Systemen, Komponenten und Produkten, die leicht montiert und demontiert werden können und multifunktional sind. Sie sind für Reparaturen leicht zugänglich und bestehen aus klar definierten Materialien. Modulares Design verbessert die Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie den Restwert von Komponenten und Materialien, indem es deren Wiederverwendung in technischen oder biologischen Kreisläufen erleichtert. Ein modular entwickeltes Gebäude ist reversibel: Es kann in kurzer Zeit an Innovationen in Fertigung und Ausstattung sowie an neue Nutzungsbedürfnisse angepasst werden und ist am Ende der Nutzungsphase rückbaubar. Weiterer Mehrwert und Vorteile sind in der Tabelle 1 dargestellt.
Tabelle 1: Die Vorteile modularen Bauens
Bauphase | Schnellere und einfachere Montage von Materialien und Bauteilen durch ein Design, das sich auf eine schnelle Installation und Montage konzentriert. |
Betrieb & Wartung | Steigerung des Materialwertes durch schnelleren und einfacheren Rück- oder Ausbau. |
Verkauf & Entsorgung | Erfassung der Werte und des Wertsteigerungspotenzials der verwendeten Materialien und Bauteile |
Modulare Bauweise | Vormontierte Module erhöhen das Bautempo. |
Funktionsvielfalt | Wenn nur ein Typ von Verbindungselementen verwendet wird (z.B. eine Art und Größe von Schrauben), dann senkt das Kosten durch verringerte Materialvielfalt. Und wenn Bauteile mehrfach eingesetzt werden können, dann ergeben sich ebenfalls finanzielle Vorteile. |
Saubere Materialien | Materialien und Bauteile, die nicht nur TÜV-geprüft sind, sondern auch den C2C-Anforderungen genügen und die voneinander trennbar sind, sorgen für die Qualität, die für eine Weiter- oder Wiederverwendung notwendig ist. Materialpässe helfen bei der entsprechenden Einschätzung und Entscheidung. |
Zugänglichkeit | Bauteile sollten so verbaut werden, dass sie für Wartungs- oder Renovierungsarbeiten leicht (d.h. schnell) und bequem zugänglich sind. Außerdem sollten sie leicht (d.h. schnell) und bequem aus- und wieder eingebaut werden können. |
Design in der Wertschöpfung | Die Integration von „Design for Disassembly‟ in der gesamten Wertschöpfungskette kann in allen Stufen zu Einsparungen in der gesamten Kette führen. |
Zertifizierungen für nachhaltig gebaute Gebäude gewinnen an Bedeutung und werden auch von Mieter*innen inzwischen eingefordert. In einigen Zertifizierungssystemen wie zum Beispiel DGNB, BREEAM oder LEED wurden Cradle to Cradle-bezogene Kriterien bereits aufgenommen. Beispielsweise indem Punkte für den Einsatz von C2C-zertifizierten Produkten vergeben werden. (Hinweis: Nach Cradle to Cradle Certified® werden nur Produkte zertifiziert, keine Gebäude.) Über den Einsatz von C2C-Produkten hinaus, gibt es noch weitere Schnittmengen und Kriterien, mit denen C2C-Qualität in einem Zertifikat nachgewiesen werden kann. Grundsätzlich geht C2C jedoch in vielen Bereichen über die Anforderungen der Zertifizierungssysteme hinaus. Daher gilt: Eine Nachhaltigkeitszertifizierung bestätigt zum heutigen Zeitpunkt noch nicht die Umsetzung eines C2C-Konzepts oder die Verwendung von C2C-Produkten in einem Gebäude. Ein wichtiger Aspekt von C2C ist zudem der Ansatz der kontinuierlichen Verbesserung, die immer angestrebt werden soll. Daher empfehlen wir in diesem Leitfaden die Erstellung einer umfassenden Roadmap. Die gängigen Zertifizierungssysteme sind hingegen statische Betrachtungen, die keine Weiterentwicklung, etwa während der Nutzungsphase eines Gebäudes, abbilden. Daher können sie im Kontext von C2C höchstens als Mindeststandard im Vergleich zu konventionellen Gebäude verstanden werden.
Das DGNB-System ist das in Deutschland am weitesten verbreitete Zertifizierungssystem für Gebäude. Es kann als Instrument eingesetzt werden, um Cradle to Cradle auf Gebäude- und Quartiersebene planbar und nachweisbar zu machen. Daher wird in diesem Leitfaden stellenweise beispielhaft auf jene Kriterien im DGNB-Katalog verwiesen, mit denen C2C-Qualitätsanforderungen im DGNB-Zertifikat nachgewiesen werden können. Sie können bei der Planung und Umsetzung eines C2C-inspirierten Gebäudes hilfreich sein.
Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.) hat 2008 die erste Version ihres Systems für die Zertifizierung nachhaltiger Gebäude veröffentlicht. Die jüngste Version von 2018 legt einen Fokus auf das zirkuläre Bauen und soll dazu motivieren, C2C umzusetzen. Im DGNB-System ist konkretisiert, wie die Ziele und deren Effekte messbar und nachweisbar gemacht werden können. Dabei wird die Gesamtperformance eines Gebäudes betrachtet und dessen Nachhaltigkeitsqualität anhand von nachvollziehbaren, auf unterschiedliche Gebäudetypen zugeschnittenen Kriterien bewertet. Innerhalb dieser Kriterien werden Anreize gesetzt, um auf Gebäudeebene positive Effekte für die Nachhaltigkeit zu generieren, auch durch zirkuläre Aspekte. Das DGNB-System versteht sich als Planungs- und Umsetzungsinstrument, das alle Prozesse von der Planung bis zur Übergabe begleitet und für Auftraggeber*innen sicherstellt, dass vereinbarte Qualitäten und positive Effekte für die Nachhaltigkeit in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden.
Zu Cradle to Cradle gibt es zahlreiche Bücher und Publikationen in unterschiedlichen Sprachen. Die englischsprachige Broschüre Cradle to Cradle Criteria for the Built Environment eignet sich als grundlegende Einführung in C2C im Baukontext. Wenn ein*e C2C-Verantwortliche*r für die umfassende Integration von C2C in einem Bauprojekt herangezogen wird, müssen sich nicht alle Beteiligten im Detail in das C2C-Konzept einarbeiten. Einen groben Überblick über C2C im Baukontext zu haben, ist dagegen für alle Beteiligten ratsam. Denn alle Beteiligten sollten die Chancen erfassen, die C2C im Gebäudebereich birgt, um die Umsetzung im eigenen Wirkungsbereich vorantreiben und einfordern zu können. Die folgende Infobox beinhaltet einen Auswahl an Informationsquellen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Weitere Leitfäden ohne dezidierten C2C-Fokus finden sich im Literaturverzeichnis.
Infobox 2 – Informationsquellen zu Cradle to Cradle
Cradle to Cradle allgemein
Erklärvideos C2C und C2C im Bau
Literatur, Leitfäden, Informationen zu C2C-inspiriertem Planen und Bauen
Informationen zu reversiblem und kreislauffähigem Bauen
Diese Handreichung ist ein Projekt von Cradle to Cradle NGO und der Nordakademie-Stiftung.
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